Rückgang der Schülerzahlen? Warum er unwahrscheinlich ist

In der Presse kündigten einige Experten einen zukünftigen Rückgang der Schülerzahlen an. Der Bildungsforscher Klaus Klemm suggerierte in seinem Interview mit der Zeit (12.03.2025) „Können die Kultusminister nicht rechnen, Herr Klemm?“ absichtliche Systemfehler und rückläufige Schülerzahlen. Die Augsburger Zeitung vom 17.3.2025 beschreibt in dem Artikel „Trend? Immer weniger Babys im Landkreis“, wie sich Gemeinden zunehmend mit Investitionen in soziale Infrastruktur schwertun.  Ist die Zeit für eine „Demografierendite“ gekommen, in der durch einen Rückgang der Kinderzahlen weniger Investitionen an Schulen notwendig sind?

Demografische Trends und kommunale Infrastrukturplanung

Langfristige Trends beeinflussen die Schülerzahlen. Die Babyboomer-Generation nach dem zweiten Weltkrieg führte beispielsweise in Bayern zu geburtenstarken Jahrgängen in den 1990er Jahren, die wiederum aktuell in großer Zahl im Familiengründungsalter wären.
Wären? Ja, wären, denn trotz einer hohen Anzahl von Erwachsenen Anfang 30 verringert sich seit 2021 an vielen Orten in Deutschland die Zahl der Geburten. Eltern verschieben ihren Kinderwunsch. Seit 2021, dem Jahr mit der höchsten Anzahl von Geburten in Deutschland, werden zunehmend weniger Kinder geboren. Langfristige demographische Trends werden gleichfalls durch kurzfristige Einflüsse wie die aktuelle konjunkturelle Lage oder auch die Anzahl der bezugsfertigen Wohnungen vor Ort beeinflusst.

Werden in Gemeinden Neubaugebiete entwickelt, verändert dies als erstes die Zahl der Kinder in den Kinderkrippen. Vor allem junge Eltern nutzen das neue Wohnungsangebot. Erst in den Folgejahren, wenn die Kinder zunehmend älter werden, steigt dann nachfolgend die Zahl der Kinder in Kindergärten und noch später in den Schulen. Mit anderen Worten, der Bedarf an sozialer Infrastruktur wird zwar auch von langfristigen Trends beeinflusst, wichtiger sind jedoch die Entwicklungen vor Ort, in den Gemeinden oder Schulbezirken. Diese Bedarfszahlen steigen oder sinken zeitversetzt.

Können die Kultusminister nicht rechnen und wie rechnen Schulplaner?

Die Bundesländer sind nicht für die Bedarfsplanung der Schulen oder bei den Kinderbetreuungseinrichtungen zuständig. Das fällt aus gutem Grund in die Zuständigkeit der Gemeinden. Großstädte verlieren in der Regel junge Familien an die Umlandgemeinden, während im Speckgürtel großer Städte mit jedem Lebensalter die Zahl der Kinder zunimmt.

Wanderungsverluste in Städten

Am Beispiel der drei größten Stadtregionen Deutschlands sollen die Veränderungen durch die Familienwanderung für die Zeit von 2015 bis 2024 dargestellt werden.

Je nach Lage in der Region verringert sich oder steigt die Zahl der Kindergartenkinder sichtbar im Vergleich zu den Geburten in einer Kommune. Von den Kindern, die im Jahr 2015 als Null-Jährige registriert waren, lebten 2018 als Dreijährige beispielsweise -11 % weniger in München, während die Gesamtzahl in Hamburg um -3 % und in Berlin um -1 % zurückging.

Im Alter von 6 Jahren, dem Einschulungsalter für die Grundschule, waren im Vergleich zu den Nulljährigen aus dem Jahr 2015 aus der Stadt München -18 % im Jahr 2021 weggezogen. Der Verlust betrug in der Freien Hansestadt -6 % und -5 % im Land Berlin.

Beispiel Hamburg

Ab- bzw. Zunahme Anzahl der Kinder in der Region Hamburg

Am Ende der 4. Jahrgangsstufe wechseln die Kinder in manchen Bundesländern an eine weiterführende Schule. Weiterhin verlieren die Metropolen während der Grundschule Kinder an die Umlandgemeinden. Von dem Geburtsjahrgang 2015 lebten im Jahr 2024 in München -23 % weniger Kinder. In der Hansestadt und im Land Berlin verringerte sich die Zahl der 9-Jährigen im Verglich zum Geburtsjahrgang um -8 %.

In allen drei Großstädten nahm die Zahl der Kinder vom Zeitpunkt ihrer Geburt bis zur Einschulung ab. Je nach Stadt beträgt diese Abnahme bis zu 20 %. Schulplaner:innen stehen also vor der Aufgabe diese Abnahme in den Großstädten möglichst gut vorauszusagen. Je nach Stadt fällt der Rückgang unterschiedlich aus.

Wanderungsgewinne im Umland

Die Kreise im Umland dieser Städte verzeichneten hingegen eine Zunahme der Kinderzahlen. Die Umlandkreise in München verzeichneten im Vergleich zu den 2015 Geborenen 9 % mehr Kinder im Alter von 3 Jahren im Jahr 2018. In den Umlandkreisen von Hamburg und von Berlin waren sogar 11% bis 13 % mehr 3-Jährige gemeldet. Mit dem Beginn der Grundschule für diesen Jahrgang wohnten im Jahr 2021 12 % mehr Kinder in den Umlandgemeinden in München, im Hamburger Umland waren es 17 % mehr und im Speckgürtel Berlin sogar 23 % mehr.

Der Geburtsjahrgang 2015 wurde hier zur Illustration herausgearbeitet. Der Verlust ist bei den nachfolgenden und vorangegangenen Geburtsjahrgängen ähnlich. Ausnahme bildet das Corona-Jahr 2022, in dem die Stadtflucht der jungen Familien signifikant stieg.

Beispiel Berlin

Kinder unter 10 Jahre: Veränderung der Zahl je nach Lage der Kommune

Ein Rückgang der Schülerzahlen bleibt in den nächsten Jahren unrealistisch

Mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf eine Krippenbetreuung im Jahr 2013 wuchs die Zahl der Geburten in Deutschland bis 2021. Bis 2027 ist mit einem Anstieg der Schülerzahlen durch die wachsende Zahl der Geburten zu rechnen.

Je nach Lage der Kommune, wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler stark durch Wanderungsgewinne oder -verluste beeinflusst. Wie oben dargestellt, kann dies gerne bis zu einem Fünftel der Schüler betreffen. Wanderungen zwischen den Kernstädten und den Umlandgemeinden beeinflussen also die Schülerzahlen deutlich stärker als Schwankungen bei der Zahl der Geburten. Ein Rückgang der Schülerzahlen ist mittelfristig in den Grundschulen unwahrscheinlich und an den weiterführenden Schulen bis Anfang der 2030er Jahre unrealistisch.